St. Markuskirche

Baubeschreibung St. Markuskirche Scheden

Erster Eindruck

Auf einer kleinen Anhöhe oberhalb des Dorfes befindet sich das Gotteshaus der Gemeinde Oberscheden, die (seit ca. 1970 so benannte) St. Markuskirche. Erbaut wurde sie auf bzw. mit den Resten eines im 30jährigen Krieg stark beschädigten und dadurch baufällig gewordenen Vorgängerbaus. Sie wirkt als ein sehr geschlossener Baukörper, wie aus einem Guss geschaffen, mit repräsentativem Ausdruck und klarer Form. Wäre nicht das Kreuz als Bekrönung auf dem Turm zu sehen, könnte man auch gut an einen Profanbau, z. B. ein Schloss, denken. Auf den ersten Blick ist dies Gebäude sonst gar nicht als Kirche zu erkennen.

Der Kirchbau von 1742–47 und sein geistesgeschichtlicher Hintergrund

Dieser Eindruck spiegelt den Geist der Zeit wider, in der der Bau entstanden ist. Über dem Portal ist die Jahreszahl 1742 zu sehen, das Jahr des Baubeginns. Abgeschlossen wurde der Bau vermutlich 1747. Damit fällt er in die Epoche des Rationalismus. Zum Vergleich: 1737 wurde die Göttinger Universität gegründet, die man als ein Kind des „aufgeklärten Absolutismus“ bezeichnet. Das verstandesmäßige Durchdringen der Wirklichkeit, bei dem die menschliche Vernunft die oberste Stelle einnimmt, prägte jene Phase. Und dem waren auch die Inhalte des christlichen Glaubens unterworfen. Alles musste klar, durchsichtig, dem natürlichen Licht der Vernunft verständlich sein. Die großen, nur mit einfachem Glas gefüllten Fenster, deuten dies an, ebenso die Konzeption des Innenraums. Gottesdienst und Predigt jener Zeit geraten zu Bildungsveranstaltungen, in denen Themen der allgemeinen Sittlichkeit Vorrang haben. Entsprechend wird als Kirche ein „Hörsaal“ im Stil des Spätbarocks errichtet. Bei diesem verzichtet man bewusst auf die im Mittelalter übliche Ostausrichtung, er erhält eine Querausrichtung (Altar und Kanzel stehen an der Längsseite). Betont wird damit das Gewicht der Gemeinde (Freiheit und Gleichheit waren ja ein Anliegen der Aufklärung). Kanzel und Altar befanden sich auf der Nordseite, dem Haupteingang unter dem Turm gegenüber, eine Orgel stand an der Südseite. West-, Süd- und Ostseite waren mit einer doppelstöckigen Empore versehen.

Probleme mit dem Kirchbau

Der Kirchenraum als ganzer hat damit eine für eine Dorfgemeinde eigentlich überdimensionierte Größe. Scherzhaft wird deshalb auch vom „Schedener Dom“ gesprochen. Der Bau, der seinerzeit nur durch viele Hand- und Spanndienste der Ortseinwohner möglich gewesen ist, hat die Gemeinde wohl weit überfordert. Mangels Finanzen muss er 1747 nur zu einem vorläufigen Abschluss gekommen sein. Da war das für den Bau vorhandene Vermögen von 3500 Talern aufgebraucht. Die eingeplanten Transportleistungen (3321 Fuder Baumaterialien, nach Berechnung des Architekten Landbaumeister Jussow aus Kassel 976 Tage für einen Wagen) führten zu vielen Einsprüchen und Beschwerden. Der Kirchbau wurde deswegen wohl nur halbherzig durchgeführt. Pastor Friedrich Andreas Apel, von 1761 – 1797 Pastor in dieser Gemeinde, berichtet von dem schon wieder sehr schlechten Zustand der Kirche. Es regnete durch das Dach, so dass „das Tünchwerk (Verputz) durchgeweicht und abgefallen ist und die Wellern, welche den Lehmputz aufnehmen und halten, zu sehen sind.“ „Der größte Ruin geschah 1760, als die Franzosen die Kirche als Magazin benutzten, vor allem wurden die Fenster und Frauenstühle betroffen.“ 1763, so schreibt Apel, „sieht die Kirche einer Baustelle völlig ähnlich.“ Die Renovierungskosten schätzte er auf einige tausend Taler. Wie dieses Geld aufgebracht wurde, lässt sich aus den Akten des Pfarrarchivs leider nicht ergründen. Da aber in späteren Notizen keine Klagen über den Bauzustand zu finden sind, ist anzunehmen, dass unter Pastor Apel der Neubau der Kirche ordnungsgemäß abgeschlossen wurde. Apel wurde, wahrscheinlich zum Dank für seine Verdienste, vor dem Altar der Kirche beigesetzt.

Gründe für die Dimensionierung der Kirche

Die Baugröße nun erklärt sich aus dem Umstand, dass zu jener Zeit Gottesdienst für die vier zum Kirchspiel gehörenden Dörfer Ober- und Niederscheden, Mielenhausen und Dankelshausen, immer nur im Wechsel mal hier, mal in Dankelshausen stattfanden, eine große Gemeinde also Platz finden musste. 1730 wurde beklagt, „dass kaum der dritte Theil von vier Gemeinden, so darinnen zusammen kommen müssen, eine Stelle haben kann, da hergegen die anderen auf dem Kirchhofe stehen bleiben, und wenig oder gar nichts von der Predigt hören können.“ Möglicherweise sollte mit dem groß dimensionierten Neubau auch unguten Erfahrungen vorgebeugt werden, die die Oberschedener beim Kirchgang in Dankelshausen machen mussten. In einem ca. 1750 verfassten Beschwerdeschreiben hatten sie nämlich gefordert, dass der Pastor grundsätzlich an jedem Sonntag auch in Scheden seinen Gottesdienst versehen sollte, denn in Dankelshausen, wo die Kirche schon für die dort zugehörigen Gemeindeglieder aus Dankelshausen, Mielenhausen und Niederscheden zu klein sei, müssten sie auf den Gängen und vor der Tür stehen und könnten so nicht die gebührende Ehrfurcht haben. Außerdem hätten sie viel Ungebührliches zu erdulden, z. B. würden sie oft an den Haaren gezogen, ihre Hüte würden zertrampelt, und manche aus den anderen Dörfern versuchten sogar, sie zur Kirche hinauszustoßen. Demgegenüber bot die neue Kirche ausreichend Sitzplätze für alle.

Umgestaltung des Innenraums

Allerdings hatte die gewählte Raumgestaltung auch ihre Nachteile. Bei der zweistöckigen Empore muss es stille, für den Pastor uneinsehbare Winkel gegeben haben, in denen während des Gottesdienstes nicht nur Karten gespielt, sondern sogar geraucht worden sein soll. Offenbar waren die Menschen auf dem Dorfe für das Programm der Aufklärung noch nicht reif genug. So kam es denn gut hundert Jahre später, 1860/61 zu einer völligen Umgestaltung des Innenraums in den Zustand, in dem wir ihn jetzt weithin noch vorfinden. In jener Epoche Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Romantik die Aufklärung abgelöst. Enttäuscht von der Nüchternheit der Versuche, das Leben und die Welt allein mit der Vernunft zu erfassen und zu deuten, wandte man sich der Ebene des Gefühls und der Phantasie zu. An die Stelle einer natürlichen Religion mit einer daraus abgeleiteten allgemeinen Sittlichkeit trat ein gefühlsbetontes Christentum, in dem die im Mittelalter vorherrschende innige Verbindung von Gott und Mensch neu entdeckt wurde. Das Gegenüber Gottes, die Heilige Schrift, Gebet und Sakrament erhielten wieder ein großes Gewicht. Entsprechend wurden – einhergehend mit einem Versenken in die Traditionen und die Geschichte des eigenen Volkes – die mittelalterlichen Baustile (Romanik und Gotik) wieder aufgenommen und die Schedener Kirche so im Stil der Neoromanik umgestaltet. Damit wurde die ursprüngliche Konzeption zwar nicht auf den Kopf gestellt, aber doch um 90 Grad gedreht – der Innenraum erhielt nämlich nun die übliche Ostausrichtung, so dass man die Kirche nun von der Seite betritt und
zunächst nicht mehr wie in mittelalterlichen Kirchen mit Blick auf den Altar ins Kirchenschiff geht. Erst nach einer Rechtswendung erblickt man eine von der Formensprache her mittelalterlich anmutende Kirche.

Die Ausstattung der Kirche

In ihr haben wir einen – allerdings nur leicht – erhöhten Altarraum (Chor) vor uns. Der Altar steht in einer Apsis, die jedoch nur eine Scheinapsis ist, kein ans Kirchenschiff angefügter Chorabschluss, sondern eine ins Kirchengebäude hineingebaute Konche (= halbkreisförmig, muschelartig überwölbte Apsis). Um die in unpassender Proportion dazu stehende Breite der Ostwand aufzulösen, wird sie gerahmt von zwei analog gestalteten Emporen, die also in erster Linie bzw. ausschließlich dekorative Funktion haben (man erkennt das daran, dass die eine Empore überhaupt keinen Zugang hat).
Der Altar selbst bzw. das Retabel (die Altarrückwand) weist nicht allegorisch-symbolische Darstellungen auf (wie in Renaissance, Barock und Aufklärung üblich), sondern geht entsprechend der Romantik auf die historische, also biblisch-geschichtliche Ebene zurück. Zwischen den Figuren der vier Evangelisten (von links nach rechts: Matthäus, Markus, Lukas und Johannes) sind Anfang und Höhepunkt des Wirkens Jesu abgebildet: links die Anbetung durch die drei Weisen aus dem Morgenland (hier dargestellt als Könige) = vor aller Welt, unter Einbeziehung kosmischer Ereignisse, wird das Kommen des Messias sichtbar; rechts die Taufe Jesu durch Johannes = Jesus wird mit dem Heiligen Geist begabt und zum Sohn Gottes erhoben (adoptiert), damit beginnt das persönliche Wirken des Messias; in der Mitte die Kreuzigung als Ende, aber auch Zielpunkt = Jesus hält die Liebe Gottes zu den Menschen bis in den Tod hinein durch und überwindet diesen damit. Über diesem Geschehen erbaut sich die Kirche, wie die Bekrönung des Altaraufsatzes (stilisierter Tempel, Türmchen) andeutet.
Weitere figürliche Darstellungen finden wir an der Kanzel: hier sind es – im Gegenüber zu den Autoren der vier Evangelien – die nach damaliger exegetischer Erkenntnis vorhandenen fünf Autoren der neutestamentlichen Briefe (Episteln): Paulus (mit dem Schwert), Petrus (mit dem Schlüssel), Jakobus (mit der Muschel), Johannes (mit dem Kelch mit der Schlange) und Judas (mit dem Speer). Damit wird zugleich das Gegenüber von Sakrament (im Evangelium teilt sich Jesus selbst aus) und Predigt (in den Episteln wird er vermittelt durch das lehrende, deutende Wort) zum Ausdruck gebracht.
Der Taufstein ist das älteste Stück in der Kirche und stammt noch aus dem Vorgängerbau, wie die Jahreszahl 1577 ausweist. Seinen Fuß bilden die Gestalten von vier Löwen bzw. Löwenköpfen. Wilde Tiere, Drachen oder angsterregende Fabelwesen, die sich häufig an dieser Stelle finden, sind Symbole des Bösen, das nach neutestamentlicher Auffassung durch Jesus besiegt worden ist und auch auf die in seinem Namen Getauften nun keinen wirklichen Einfluss mehr hat.
Die ursprüngliche Orgel, vermutlich 1750 durch David Jerremund an der Turmseite errichtet und 1829 durch Johann Dietrich Kuhlmann, Gottsbüren, umgebaut, wurde bei der Umgestaltung 1860/61 auf die Westempore gestellt (als Pendant zum Altar; auf diese Weise kommt die dialogische Struktur des lutherischen Gottesdienstes auch architektonisch zur Geltung: Gott redet mit uns durch sein heiliges Wort und wir wiederum reden mit ihm durch Gebet und Lobgesang). Die Orgel erlebte Umbauten und Erweiterungen in den Jahren 1899 (durch Fa. Furtwängler und Hammer, Hannover) sowie 1936/37 (durch Fa. Paul Ott, Göttingen). Mit einer umfassenden Sanierung durch die Fa. Krawinkel, Trendelburg-Deisel, wurde sie unter Verwendung vorhandenen wie ergänzten historischen Pfeifenmaterials 2011 auf das ursprüngliche Konzept zurückgeführt und verfügt nun über 22 Register auf zwei Manualen und Pedal.

Fazit

Besucher der Kirche ebenso wie die Akteure hier stattfindender Veranstaltungen können sich heute freuen über diesen schönen, lichten und weiten Kirchenraum, der etwas von der Weite der Güte Gottes vermittelt, die hier wiederum mit musikalischen Mitteln hervorragend gelobt werden kann. Denn dieser Kirchenraum besitzt eine wunderbare Akustik. Insofern hat sich die Kirche in den letzten Jahren, bedingt auch durch die Verbindung mit dem hier am Ort geborenen Johann Joachim Quantz, ein bisschen zur Musikkirche entwickelt, in der regelmäßig Konzerte, schwerpunktmäßig mit Kompositionen aus dessen Hand wie auch aus der Hand seiner Zeitgenossen, stattfinden.

Horst Metje, Pastor i. R.
04.04.2024